Hanna Sjöberg
    Die Überreste des zivilen Lebens
     

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Mit einer verstörenden Ausstellung der in Berlin lebenden schwedischen Künstlerin Hanna Sjöberg eröffnet die Stiftung Schloss Neuhardenberg die diesjährige Ausstellungssaison. lm Foyer des Großen Saals sind 72 Fotografien von Scherben zu sehen, die Hanna Sjöberg auf dem Gelände der zerstörten Stadt Küstrin gefunden hat.

Bodenfunde. Oderland ist der Titel der Ausstellung, der zunächst die Erwartung des Besuchers in eine falsche Richtung lenkt. Wer sich auch nur ein bisschen auskennt mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, der erwartet von Funden aus dem Oderland einen deutlichen militärischen Bezug. Über den Seelower Höhen erreichte das Morden des Krieges einen letzten Höhepunkt, als die Rote Armee die letzten ernst zu nehmenden Hindernisse Richtung Berlin nahm. Noch im ZDF-Doku-Spiel über die letzten Tage des Dritten Reiches zeigte die Nennung der Stadt Wriezen und der Ortschaft Prötzel an, dass die Russen nach den dortigen heftigen Kämpfen fast ungehindert auf dem Weg in die Reichshauptstadt waren.

Hanna Sjöberg hat auf dem Gelände der völlig ausgelöschten Stadt Küstrin nicht das gesucht, was viele vor ihr in der Nähe gefunden hatten: Skelette, verrostete Waffen und andere Ausrüstung von Soldaten. Was der Schwedin wichtig war, waren die Zeugnisse von Zivilisation, die noch als Glas- und Porzellanscherben Formen und Muster anspruchsvollen Geschirrs erahnen lassen.

Die 72 gleich großen quadratischen Fotografien scheinen streng komponiert, so wie auf den Tischen des untergegangenen Küstriner Bürgertums vermutlich die Teller und Schüsseln nach überlieferten Regeln millimetergenau angeordnet wurden. Es ist eine außergewöhnliche Art des Erinnerns an einen Krieg: Die Überreste des zivilen Lebens stammen aus einer Zeit, in der die Zivilgesellschaft nicht mehr existierte.

Dabei wird die Neugier des Betrachters auf eine „leichte" Art geweckt. Die Scherben verweisen weder auf den Nationalsozialismus noch auf Kriegsgräuel. Zunächst ist man nur versucht, die Bruchstücke wieder zusammen zu setzen, einzelne Teile als einem Teller oder einer Tasse zugehörig zu identifizieren. Der Schriftzug „Essig" lässt auf eine Flasche schließen, der Name Tielsch-Altwasser auf eine berühmte schlesische Porzellanmanufaktur. Angesichts mehrerer Tielsch-Altwasser-Scherben taucht dann doch die Frage auf, ob hier „nur" die Zerstörung eines Haushalts oder die Vernichtung einer ganzen Familie ihr letztes Zeugnis gefunden hat. Wie gesagt: Eine verstörende Erinnerung an einem Ort, die nicht zuletzt als gehobene Gastlichkeit wieder belebt wurde, wohin sich sogar gelegentlich das Bundeskabinett zur Klausur zurückzieht.


Christian Schindler
Oranienburger Generalanzeiger, 29. März 2005



 


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